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Weltraumschrott fliegt über unseren Köpfen im All

Veröffentlicht: Dienstag, 01. August 2023

Im All fliegen nicht nur intakte Satelliten umher, sondern auch viele defekte - und das mit fast 30'000 km/h. Es gibt gefährliche Kollisionen des Mülls mit den für uns wichtigen Satelliten.

weltall satellit

Foto: Alexa / Pixabay

Nachhaltige Nutzung des erdnahen Weltraums

Ein hagerer Mann mit wachen Augen begrüsst uns: «Willkommen bei den Schrotthändlern des Weltraums», sagt Thomas Schildknecht, Professor für Astrophysik an der Universität Bern und Leiter des Observatoriums Zimmerwald, dessen Türen der Öffentlichkeit sonst verschlossen bleiben. Der ironische Einstieg hat einen ernsten Hintergrund, denn der Professor und seine Kollegen sind auf einer Mission:«Wir kümmern uns um die nachhaltige Nutzung des erdnahen Weltraums.» Was das bedeutet, erklärt er an einem Beispiel:«Ihr altes Auto lassen Sie auch nicht auf der Autobahn stehen, wenn Sie es nicht mehr brauchen, sondern geben es auf den Autofriedhof oder, noch besser, lassen es rezyklieren.»

Ein Stück so gross wie ein Fingernagel mit der Energie einer Handgranate

Millionen Granaten fliegen um die Erde. Im Orbit passiert aber genau das: Ausgediente Satelliten und andere «Weltraumzombies» werden achtlos zurückgelassen und ziehen unkontrolliert ihre Bahnen um die Erde – mit verheerenden Konsequenzen: «Es kommt zu Kollisionen mit aktiven Satelliten oder zu Explosionen von Treibstoffresten in alten Antriebssystemen.» Diese Ereignisse setzen Tausende von Bruchstücken frei, und ihre enorme Geschwindigkeit verleiht ihnen riesige Einschlagkraft: «Ein Stück so gross wie ein Fingernagel setzt etwa so viel Energie frei wie eine Handgranate – und bedeutet für einen Satelliten meist das Aus.»

Was ist Weltraumschrott? Weltraumschrott besteht aus Weltraumgegenständen, die nicht mehr funktionieren, sich aber noch immer in der Erdumlaufbahn befinden. Die ESA zählte im Dezember 2022 rund 9'780 Satelliten im All, davon sind ungefähr 2700 nicht mehr funktionstüchtig. Ausserdem befanden sich zu diesem Zeitpunkt rund 36'500 Objekte in der Umlaufbahn der Erde, die grösser sind als 10 cm. Die ESA zählte zudem eine Million Objekte in der Grösse von 1 cm bis 10 cm und gar 130 Millionen Objekte, die bis 1 cm gross sind.

Satelliten brauchen wir für Navigationsapps, Wetterprognosen, Stromnetze und vieles mehr

Dabei sind wir alle auf diese Satelliten angewiesen, wie Professor Schildknecht zu bedenken gibt: «Unsere Smartphones und alle Navigationsapps funktionieren mit Satellitentechnik. Wetterprognosen, Stromnetze,Synchronisationen von Netzwerken – alles läuft über Satelliten. Es geht aber noch weiter: Über die Hälfte der Messungen, die wir brauchen, um die Klimaerwärmung zu untersuchen, kommt aus dem Weltraum.» Schildknecht schätzt, dass schon heute über eine Million Objekte, die grösser sind als ein Zentimeter, die erdnahe Atmosphäre umkreisen: «Dieses Schneeballsystem entwickelt sich exponentiell und könnte dazu führen, dass wir den erdnahen Weltraum bald überhaupt nicht mehr nutzen können.» Doch auch mit einem optimistischeren Blick verschärft sich der orbitale Platzmangel: «Es gibt aktuell allein in den USA 400 000 Anträge für Satellitenprojekte. Wenn nur 10 Prozent dieser Projekte umgesetzt werden, sind das 40 000 Satelliten – also zehnmal mehr, als wir heute insgesamt haben.»

Satellitenverkehr und -entsorgung müssen geregelt werden - was die Forschung dazu beiträgt

Mission: Beobachten und Bewusstsein schaffen. Die Arbeit des Observatoriums Zimmerwald besteht darin, Objekte am Himmel zu beobachten und wichtige Daten wie Flughöhe, Grösse oder Umlaufbahn zu katalogisieren: «Diese Informationenhelfen Satellitenbetreibern, potenzielle Kollisionen frühzeitig zu erkennen und mit gezielten Manövern zu verhindern.» Die Beobachtungen haben noch einen weiteren Zweck: «Sie sind der Ausgangspunkt für wissenschaftliche Modelle, die klar und fundiert beweisen, dass unser Planet ein Problem mit Weltraumschrott hat.» Diese Modelle geben der Wissenschaft ein wichtiges Argument für die nachhaltige Nutzung des Weltraums; sie allein reichen aber nicht aus: «Wir brauchen international bindende Abkommen, die den Verkehr und die Entsorgung regeln.»

Und es braucht ein Bewusstsein in der Bevölkerung. «Denn nur so kann genügend Druck auf die Politik ausgeübt werden, um solche Regelungen überhaupt durchzusetzen», sagt Professor Schildknecht. Die Botschaft, die er an uns richtet, ist klar: «Wir müssen mit dieser für die Zivilgesellschaft neuen und wichtigen Ressource genauso nachhaltig umgehen wie mit den Ressourcen hier auf der Erde.» Auf die Frage, ob er und seine Kollegen einen Kampfruf oder ein griffiges Motto haben, um ihrer Mission Gehör zu verschaffen, antwortet er: «Leider nicht; da sollten sich kreativere Menschen etwas einfallen lassen.» Verstanden, Herr Professor. Wie wäre es mit: «Kill the Space Zombies!»

Eigene Beobachtungen sind möglich in der Sternwarte

Wie eine Wolke verteilt sich der Weltraumschrott rund um die Erde. Dies führt zu folgenschweren Kollisionen mit aktiven Satelliten. Sehen Sie selbst: In der Sternwarte und im Planetarium SIRIUS in Sigriswil beim Thunersee können Weltraumfans selbst durchs Teleskop und in unendliche Weiten schauen. SIRIUS bietet eines der schweizweit grössten Teleskope für einen atemberaubenden Blick in den Himmel sowie ein Planetarium mit interaktiven Ausstellungen und regelmässigen Events.

 

Mehr Informationen unter: sternwarte-planetarium.ch

Zum Weiterlesen:
BFH unterstützt die weltweit erste Mission zur Beseitigung von Weltraumschrott

 

Quellen:
Eysi Energii /Kantonales Energiewerk Nidwalden / Ausgabe 2/2023
SRF News online: Warum ein Frühlingsputz im All dringend nötig ist